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Tierethik, Tierrechte

Grundgedanken zur Tierethik

von Sebastian Ernst, Philosoph und Historiker
(mit freundlicher Genehmigung des Autors)

In der Tierrechtsdebatte geht es um die Frage, welchen Tieren aufgrund ihres moralischen Status, bzw. ihrer moralischen Berücksichtigung welche Rechte zugestanden werden können, sollen und müssen. Der allgemein gehaltene Begriff der Tiere spiegelt dabei die gegensätzliche und ausgrenzende Gegenüberstellung von Mensch und Tier wieder, die aber in der Debatte ausdrücklich hinterfragt werden soll. Der Begriff ist vor allem in dieser Allgemeinheit gehalten, um möglichst viel Spielraum zu lassen. Was der Begriff hingegen nicht will, ist eine Gleichstellung aller Tierarten (auch wenn dies von einigen Positionen durchaus gefordert wird, beispielsweise im Grundsatz von Albert Schweitzer), sondern durchaus eine Diskussion um unterschiedliche Rechte anhand unterschiedlicher Kriterien.

Hier sollen einige wichtige Positionen und Traditionen der Debatte vorgestellt werden. Ihnen gemeinsam ist, dass sie die bisherige Trennung in Mensch und Tier, die vor allem als Überbleibsel religiöser Weltdeutungen anzusehen ist, aufbrechen und somit scheinbar natürlich Gegebenes hinterfragen und kritisch betrachten. Die Diskussion von Tierrechten ist damit immer auch eine Debatte mündigen Denken.
Eine der wichtigsten Fragen (aufgrund ihrer Alltäglichkeit) innerhalb der Debatte ist dabei jene nach der vegetarischen und veganen Ernährung. Dabei ist der wichtigste Punkt und zugleich der Anfang von allem, die Erkenntnis, das die Frage nach der Ernährung, so trivial sie scheint, weder eine rein persönliche, noch eine rein ästhetische, sondern eine hoch politische und moralische ist.

Im Folgenden sollen die einzelnen Argumente näher betrachtet werden.

Dass Ernährung im hohen Maße Tiere und ihr Wohlbefinden beeinflusst leuchtet ein. Dass Leid und Tod intuitiv etwas Schlechtes sind ebenso. Trotz allem ist es in unserer Gesellschaft völlig selbstverständlich, dass diejenigen Spezies, die zu „Nutztieren" degradiert werden, diesem Leid auszusetzen sind. Die Frage, die sich stellt, ist, ob der Mensch das Recht hat, Tiere für seine Ernährung zu halten und zu töten, und in welcher Weise und unter welchen Bedingungen er dies darf. Gegen ein solches Vorgehen gibt es seit der Antike eine Vielzahl an Argumenten, von denen nun einige vorgestellt werden sollen.

Gleichheitsprinzip und Interessen

The day has been, I grieve to say in many places it is not yet past, in which the greater part of the species, under the denomination of slaves, have been treated by the law exactly upon the same footing, as, in England for example, the inferior races of animals are still. The day may come when the rest of the animal creation may acquire those rights which never could have been witholden from them but by the hand of tyranny. The French have already discovered that the blackness of the skin is no reason a human being should be abandoned without redress to the caprice of a tormentor. It may one day come to be recognised that the number of the legs, the villosity of the skin, or the termination of the os sacrum are reasons equally insufficient for abandoning a sensitive being to the same fate. What else is it that should trace the insuperable line? Is it the faculty of reason or perhaps the faculty of discourse? But a full-grown horse or dog, is beyond comparison a more rational, as well as a more conversable animal, than an infant of a day or a week or even a month, old. But suppose the case were otherwise, what would it avail? The question is not, Can they reason? nor, Can they talk? but, Can they suffer? (1)

Dieses Zitat ist ein sehr zentrales in der Tierrechtsbewegung und besonders in der Argumentation über das Gleichheitsprinzip. Dieses geht in der Tierrechtsdebatte auf verschiedene Philosophen zurück (u.a. Peter Singer, R.M. Hare) und lautet im Kern: Gleiches muss auch gleich behandelt werden oder aber, in Bezug auf die sogenannte Goldene Regel: Handle stets so, wie auch du behandelt werden willst.
Diese Regel erscheint als eine vielzitierte und intuitiv einleuchtende Wahrheit des friedlichen und respektvollen Umgangs miteinander und könnte auf jede Handlung angewendet werden.


Bisher wurden allerdings Tiere häufig ausgespart, da sie als „irgendwie anders" und über dieses „anders" als nicht zugehörig konstruiert wurden. (Siehe auch die kurze Erläuterung „Tiere als die Anderen" am Ende) Dieses „konstruiert" ist wichtig, denn eine kategorische Grenze existiert nicht. In den wichtigen Eigenschaften, in den sogenannten „moralisch relevanten" Eigenschaften sind uns viele Tiere, vor allem jene, die in der westlichen Welt in Massen verspeist werden, ausreichend ähnlich. Sie fühlen in ganz ähnlicher Weise Schmerz und Leid aber auch Freude. Damit haben sie, wie wir auch, Interessen, wie jene, nicht leiden zu müssen, sich frei bewegen zu können, Freude zu erleben, sich fortzupflanzen usw. Und so wie wir unsere Interessen beachtet wissen wollen und die eigene Freiheit an der Beeinträchtigung solch meist fundamentaler Interessen des Gegenübers Grenzen finden muss, so muss dies auch für tierliche Interessen und das tierliche Gegenüber gelten. Das ist es, was das Zitat sagen will.

Wenn es darum geht, Schmerzen zuzufügen, dann ist es egal, welche Hautfarbe oder welches Geschlecht derjenige hat, dies scheint uns heute klar. Dies zu erreichen, war aber selbst ein schwerer und langer Kampf, der auf viel Widerstand stieß und sich ähnlichen Entgegnungen gegenüber sah, wie heute die Tierrechtsbewegung. Auch in diesen Kämpfen wurde das Gegenüber als „anders" konstruiert, um es ausschließen zu können.

Die bereits errungene Gleichheit muss konsequenterweise nun auch für viele Tiere gelten, denn auch bei diesen darf das Äußere nicht als Grund herhalten. Um dies zu verdeutlichen wurde der Begriff des „Speziesismus" geschaffen, der sich in Analogie zu Rassismus und Sexismus setzt, also einer Vorzugshaltung gegenüber einer sozial als "anders" konstruierten Gruppe. (2)

Mitleid

Ein weiterer, bzw. ein anderer Grund, das Töten und Verspeisen von Tieren abzulehnen, ist das Prinzip des Mitleids. Mitleid ist eine der wichtigsten Empfindungen und richtet sich an uns selbst als empfindungsfähiges Leben mit einem subjektiven Wohl, das sich zudem in andere Wesen hineinversetzen kann, und somit an uns als Wesen, die nachvollziehen können, was es bedeutet, in den verschiedenen Bereichen Grausamkeiten ausgesetzt zu sein. Aus diesem Wissen oder besser gesagt Mitfühlen ergibt sich die Rücksicht auf andere.

Grausamkeit und Töten sowie das Vorenthalten von Entfaltungs- und Handlungsmöglichkeiten sind etwas intuitiv Schlechtes und werden in den allermeisten Fällen von uns abgelehnt. Rufen wir uns Bilder vor Augen, in denen jemandem Derartiges angetan wird, so entstehen in uns Gefühle des Mitleids. Diese Gefühle sind zugleich die Basis für die rudimentärsten moralischen Gefühle, die sich in der Anerkennung des subjektiven Wohls anderer und uns selbst widerspiegeln. Dabei kann sich Mitleid als Gefühl auf jedes Wesen beziehen. Darauf aufbauend gibt es also keinen Grund, nicht auch das Leid von Tieren als etwas Schlechtes anzusehen, zumal die relative Nähe eines Wesens zu uns selbst im alltäglichen Handeln zwar ein Rolle, nicht aber eine Rolle des Ausschlusses spielen darf. So kann ich zwar größeres Mitleid mit meiner eigenen Familie empfinden und sie deswegen unterstützen, dies kann aber nicht dazu führen, dass ich anderen Grausamkeiten zufüge. Nähe kann zu besonderen Verpflichtungen führen, nicht jedoch elementare aufheben.

Da für akutes Mitleid nun immer schon Leid da sein muss, sollten wir uns in unseren Vorstellungen vom richtigen Handeln vor allem an ein generalisiertes Mitleid halten. Jedes Wesen, welches leiden kann, welches ein eigenes, subjektives Wohl hat, sollte daher vor Leid verursachenden Handlungen durch uns (durch alle moralischen Akteure) verschont bleiben. Da die meisten der durch den Menschen gezüchteten und getöteten Tiere nun leidens- und wollensfähig sind, sowie Subjekte eines eigenen Wohls, sollten wir diese Handlungen an ihnen unterlassen. Dabei haben viele Tiere vielleicht keine ausgeprägten Zukunftspläne (viele Menschen übrigens auch nicht), jedoch wollen auch sie weiterexistieren und zumindest begrenzte Zukunftserwartungen sind auch bei ihnen vorhanden. Ebenso können diese Tiere leiden und dies nicht nur durch die Zufügung von Schmerzen, sondern vor allem dadurch, dass ihnen im Ganzen mehr Leid zugemutet wird als Freude, ihr Leben in vielen Haltungsbedingungen nahezu nur aus Ersterem besteht. Ihre sozialen Beziehungen werden unterbrochen, was nachweislich zu Leiden führt, ihre Bewegungsfreiheit und ihr natürliches Verhalten werden stark bis völlig eingeschränkt. Auch aus einer Haltung des Mitleids heraus ist die vegetarische und vegane Lebensweise somit als positiv anzusehen. (3)

Tiere als die „Anderen"

Was bei Tieren, bei der Kategorie „Tier" passiert, ist etwas, dass auch analog bei Xenophobie (Anm: Angst vor Fremden), Rassismus und Sexismus stattfindet. Eine soziale Kategorie, etwas letztlich „sozial Konstruiertes" wird aufgrund der Undurchsichtigkeit der konstruierenden Prozesse für die meisten Menschen als natürliche Kategorie im Alltagsverständnis missverstanden. Eine sozial und kulturell erlernte und dadurch reproduzierte Selbstverständlichkeit wird zum Natürlichen und entzieht sich so als gesellschaftliche Gewissheit oft der weiteren Überprüfung. Diese legitimiert sich quasi-mythisch durch ihre fortwährende Erzählung, in der dieser Unterschied als schon immer dagewesen und schon immer wichtig erscheint. (4)

Das nun anzunehmen fällt schwer und wird verteidigt, zumal die „naturalisierten" Grundkategorien in denen Tiere gedacht, mit denen sie bedacht werden, z.B. ihr angeblicher Mangel an (Selbst-)Bewusstsein, ihr Mangel an Leidensfähigkeit, ihr Objekt- statt Subjekt-Sein, sowie ihr Gemacht-Sein für menschliche Bedürfnisse, nun wieder selbst handlungslegitimierend ins Feld geführt werden. Bricht man mit diesen Vorstellungen und Vor-Urteilen, so stellt sich mithin auch die Schuldfrage, der jeder Mensch bestrebt ist zu entgehen und die seine alltäglichen, eingerichteten Routinen in Frage stellt und damit Teile seines Selbstkonzepts bzw. Selbstbildes.

Um dies zu verhindern, werden Tiere nicht selten mit sozialer Unsichtbarkeit versehen, allenfalls werden sie zwar erkannt, nicht aber als Selbst anerkannt. (5) Wobei dies freilich auf unterschiedliche Spezies unterschiedlich zutrifft. So sind Tierarten, mit denen wir, konform mit gesellschaftlichen Konventionen, Interaktionen pflegen, wie z.B. Haustiere, anders davon betroffen, als Tierarten mit denen wir Interaktion aus „Nützlichkeitserwägungen" vermeiden, wie z.B. Nutztiere.

Gerade moralische Entwicklung, moralische Reife muss diese Mechanismen brechen, die Gemachtheit all dieser Kategorien erkennen und nicht dem sogenannten „deskriptivistischen Fehlschluss" (6) verfallen, der moralische Urteile auf Übereinstimmung mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Konventionen reduziert und so Willkür und Relativismus Tür und Tor öffnet. Im engen Sinne moralische Entscheidungen, also solche, die auf der sogenannten postkonventionellen Ebene der moralischen Entwicklung stattfinden (7), müssen diese Konventionen immer auf ihr Gemacht-Sein hin überprüfen, sie kritisch hinterfragen und sie als legitimierende Basis ablehnen.

Moralisch sind Gesellschaften praktisch immer konservativ, und den momentanen Konservatismus zu brechen und so zu einer höheren Form moralischer Gesellschaft zu finden, die Evolution von Moralität in einer Gesellschaft voran zu treiben, ist einer der Grundsätze der vegetarisch-veganen Ernährung. Die ethischen Grundhaltungen, so verschieden sie sein können, gehen dabei von bestimmten, inklusiveren Grundannahmen aus. Tiere sind Objekte der Moral, Subjekte ihres Lebens und zumindest zum Teil als Mitglieder der Gesellschaft anzusehen und ihnen muss in diesen Hinsichten Beachtung widerfahren. Damit wird auch evolutionär ein weiterer Schritt getan sein, wie ihn schon Darwin voraus sah.

„Endlich werden die socialen Instincte, welche ohne Zweifel vom Menschen ebenso wie von den niederen Thieren zum Besten der ganzen Gemeinschaft erlangt worden sind, von Anfang an den Wunsch, seinen Genossen zu helfen, und ein gewisses Gefühl der Sympathie in ihm angeregt, ihn aber auch dazu veranlaßt haben, ihre Billigung und Mißbilligung zu beachten. Derartige Antriebe werden ihm in einer sehr frühen Periode als eine rohe Regel für Recht und Unrecht gedient haben. Aber in dem Maße, wie der Mensch nach und nach an intellectueller Kraft zunahm und in den Stand gesetzt wurde, die weiter entfernt liegenden Folgen seiner Handlungen zu übersehen, wie er hinreichende Kenntnisse erlangt hatte, um verderbliche Gebräuche und Aberglauben zu verwerfen, wie er in Folge von Gewohnheit, dieser Folge wohlthuender Erfahrung, wohltätigen Unterrichts und Beispiels, seine Sympathien zarter und weiter ausgedehnt wurden, so daß sie sich auf alle Menschen aller Rassen, auf die schwachen, gebrechlichen und anderen unnützen Glieder der Gesellschaft, endlich sogar auf niederen Thiere erstreckten,- in dem Maße wird auch der Maßstab seiner Moralität höher und höher gestiegen sein." (8)

 

1)       Bentham, Jeremy. Introduction to the Principles of Morals and Legislation, second edition, 1823, chapter 17, footnote. Anmerkung: gekürzte Übersetzung:

Der Tag mag kommen, an dem der Rest der belebten Schöpfung jene Rechte erwerben wird, die ihm nur von der Hand der Tyrannei vorenthalten werden konnten. Die Franzosen haben bereits entdeckt, dass die Schwärze der Haut kein Grund ist, ein menschliches Wesen hilflos der Laune eines Peinigers auszuliefern. Vielleicht wird            eines Tages erkannt werden, dass die Anzahl der Beine, die Behaarung der Haut oder die Endung des Kreuzbeins ebenso wenig Gründe dafür sind, ein empfindendes Wesen diesem Schicksal zu überlassen. Was sonst sollte die unüberschreitbare Linie ausmachen? Ist es die Fähigkeit des Verstandes oder vielleicht die Fähigkeit der Rede? Ein voll ausgewachsenes Pferd aber oder ein Hund ist unvergleichlich verständiger und mitteilsamer als ein einen Tag oder eine Woche alter Säugling oder sogar als ein Säugling von einem Monat. Doch selbst wenn es anders wäre, was würde das ausmachen? Die Frage ist nicht: können sie verständig denken? Oder: können sie sprechen? Sondern: können sie leiden?" (gekürzt)

2)       Literaturempfehlung: Singer, Peter: Praktische Ethik, Stuttgart 1994 und Wolf, Ursula (Hrsg.): Texte zur Tierethik, Stuttgart 2008.

3)       Literaturempfehlung: Wolf, Ursula: Das Tier in der Moral, Frankfurt am Main 2004.)

4)       Zur Legitimation durch Erzählungen siehe Lyotard, Jean-Francois: Memorandum über die Legitimität, in: Engelmann, Peter (Hrsg.): Postmoderne und Dekonstruktion, S. 54-75.

5)       Vgl. Honneth, Axel: Unsichtbarkeit. Über die moralische Epistemologie von Anerkennung, in: Unsichtbarkeit. Stationen einer Theorie der Intersubjektivität, Frankfurt am Main 2003, S. 10-27.

6)       Hare, Richard Mervyn: Zur Einführung: Universeller Präskriptivismus, in: Fehige, Ch, Meggle, G.: Zum moralischen Denken, 2 Bde, Frankfurt am Main 1992, S. 31-54.

7)       Kohlberg, Lawrence; Dwight, R.Boyd, Levine, Charles: Die Wiederkehr der sechsten Stufe. Gerechtigkeit, Wohlwollen und der Standpunkt der Moral. In: Zur Bestimmung der Moral. Hrsg. v. G. Edelstein, Nunner- Winkler. Frankfurt 1986; sowie Habermas, Jürgen: Gerechtigkeit und Solidarität. In: Zur Bestimmung der Moral. A.a.O. 219-303. Ebenso Schwickert, Eva-Maria: Feminismus und Gerechtigkeit. Über eine Ethik von Verantwortung und Diskurs, Berlin 2000.)

8)       Darwin, Charles: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, Stuttgart 1899, S. 137

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