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Taubenfütterungsverbot in Lörrach

Offener Brief: Taubenfütterungsverbot in Lörrach

Stuttgart, 24.01.2023

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Lutz,
sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Neuhöfer-Avdić,

ich schreibe Ihnen im Namen von Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg e.V., einem gemeinnützigen Verein, der sich bereits seit 1983 erfolgreich für die Rechte der Tiere einsetzt.

Ihrer Pressemitteilung „Taubenfüttern im Stadtgebiet verboten“ vom 05. Januar 2023 entnehme ich, dass die Stadt Lörrach bemüht ist, die Taubenpopulation niedrig zu halten. Ein gutes Stadttaubenmanagement ist dafür allerdings absolut essentiell.
Nachdem ich Ihre Argumente gelesen habe und mir durch Schilderungen von Bürger*innen ein Bild machen konnte, möchte ich nachfolgend auf einige Ihrer Aussagen (fett gedruckt) eingehen und Ihnen Hintergrundinformationen, sowie Lösungsansätze an die Hand geben.


„Die Stadt ist bemüht den Taubenbestand zu reduzieren, da diese Krankheiten auf den Menschen übertragen können und deren ätzender Kot Schäden an Gebäuden verursacht.“

„Tauben werden in den Taubenhäusern der Stadt Lörrach mit artgerechtem Futter versorgt.“


Wie Sie richtig festgestellt haben ist die einzige wirksame und tierschutzgerechte Methode, um die Taubenpopulation auf Dauer zu verkleinern bzw. auf einer überschaubaren Zahl zu halten und gesunde Tiere zu bekommen, die Einrichtung betreuter Taubenschläge, in denen die Tiere mit artgerechtem Futter und Wasser versorgt und an den Ort gebunden werden (Weyrather, 2014). Dadurch nimmt die Präsenz der Futterschwärme in der Stadt ab.
Allerdings muss sichergestellt werden, dass sowohl ausreichend Taubenschläge, als auch genügend Futter vorhanden sind.

Derzeit gibt es meines Wissens zwei Taubenschläge in denen der Tierschutzverein einmal wöchentlich Futter zur Verfügung stellt. Beides ist nicht ausreichend. Zum einen müssen mehr Taubenschläge eingerichtet werden, zum anderen muss aber auch dafür gesorgt werden, dass die Tiere täglich artgerechtes Futter bekommen (täglich 30-50g Körnerfutter/Tier). Einmal wöchentliches Füttern kommt einem verhungern lassen gleich. Um dem Hungertod zu entgehen, müssen die Tauben weiterhin anderweitig nach Futterquellen suchen.
Die bevorzugte Nahrung von (Stadt-)Tauben besteht hauptsächlich aus Körnern und Samen, die in den Städten kaum vorhanden sind. Somit haben die Tauben keine andere Möglichkeit, selbständig an artgerechtes Futter zu gelangen. Sie sind in ihrer Not darauf angewiesen, sämtliche Essensreste (Abfälle) der Menschen zu essen. Dies wiederum führt zu einem vermehrten Kotabsatz.

Zur Überbrückung, bis die Stadt ein nachhaltiges Taubenkonzept ausgearbeitet und umgesetzt hat, könnten Ausnahmegenehmigungen an fachkundige Personen erteilt werden, damit diese die Tauben gezielt an sog. Tauben-Hotsports füttern. Das heißt, mit artgerechtem Futter in der benötigten Menge, so dass keine Futterreste liegen bleiben. An dieser Stelle möchte ich nochmal betonen, dass einmal die Woche in den vorhandenen zwei Taubenschlägen nicht ausreichend ist.

Werden die Tiere artgerecht gefüttert, kann auch eine Verbesserung hinsichtlich des Kotabsatzes erreicht werden. Der Kot von artgerecht ernährten Tauben ist fest und dunkel, erst durch die unpassende Ernährung entsteht der flüssige sog. Hungerkot.
Eine Untersuchung der TU Darmstadt Institut für Massivbau (2004) ergab außerdem, dass Taubenkot auf gängigen Baustoffen wie Sandstein, Granit, Beton und Nadelholz keine Schäden verursacht.

Viele Städte haben die Notwendigkeit eines guten Taubenmanagements erkannt und daher ausreichend betreute Taubenschläge für die Stadttauben eingerichtet. Dort können die Tauben Paare bilden und brüten. Ihre Eier werden gegen Attrappen aus Gips ausgetauscht, so dass die Tiere weiter an ihr Nest gebunden bleiben, aber keine Küken aufziehen werden. Auch die Stadt Augsburg hat ein sehr erfolgreiches Taubenkonzept entwickelt, durch das (wieder) ein friedliches Zusammenleben zwischen Stadtbewohner*innen und Tauben möglich ist. Der in den Türmen und Schlägen gebundene Taubenkot entlastet das Stadtgebiet merklich. Der Kot kann von dort fachmännisch entsorgt werden. Die Bau- und Unterhaltungskosten für Taubenschläge sind weitaus geringer als die Kosten für die regelmäßige Reinigung und Desinfektion von verunreinigten Plätzen und Gebäuden.

Es gibt noch immer einigen Irrglauben über Stadttauben: Tauben gelten als Überträger von Krankheiten, häufig werden sie als Schädlinge bezeichnet. Dies wurde jedoch längst wissenschaftlich widerlegt. Das Bundesgesundheitsministerium bestätigte bereits 1989, dass eine Ansteckung unwahrscheinlich ist. Sich bei Hunden oder Katzen anzustecken, ist für den Menschen eine wesentlich größere Gefahr, denn die Taubenkeime sind nicht auf den Menschen übertragbar.
Die Studie „Gefährdungseinstufung der Stadttauben? Überprüfung aktueller Aussagen aus dem Internet auf ihren Wahrheitsgehalt“ von Mirja Kneidl-Fenske, Tierärztin und Michaela Dämmrich, Landesbeauftragte für den Tierschutz in Niedersachsen (Stand 29. Juli 2017) hat sich mit dem Irrglauben  auseinandergesetzt.

Für jede einzelne der kursierenden Behauptungen wurden in der Studie zur Gefährdungseinstufung von Stadttauben neue Erkenntnisse ausgewertet und der Wahrheitsgehalt all dieser Behauptungen überprüft. Alle konnten als schlichtweg falsch oder übertrieben entlarvt werden. Auf der Internetseite der Erna-Graff-Stiftung finden Sie detaillierte Informationen aus der Studie.

„Gibt es ein weiteres Futterangebot, verringert sich der Aktionsradius der Tiere und sie stecken ihre Energie in die Fortpflanzung. Dadurch erhöht sich der Taubenbestand in der Stadt.“

Die heutigen Stadttauben sind die Nachfahren von einst ausgesetzten Haustieren. Diese Tiere sind nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen, da der Mensch sie einst in seine Abhängigkeit züchtete.

Stadttauben wurden vom Menschen über einen langen Zeitraum daraufhin gezüchtet, möglichst viel zu brüten (sog. Brutzwang). Weswegen die Zahl des Nachwuchses, anders als bei vielen anderen Tierarten, nicht vom Nahrungsangebot, dem körperlichen Zustand oder anderen Gegebenheiten abhängt. Sie sind darauf gezüchtet, unter allen Umständen weiter zu brüten. Durch Futtermangel (=Überlebenskampf) brüten sie sogar tendenziell mehr, um ihre Art zu erhalten.
Da die Tauben das ihnen vom Menschen angezüchtete Verhalten nicht ändern können, stehen wir in der Verantwortung, diesen Tieren zu helfen.

Als weitere Lektüre zum Thema Stadttaubenmanagement möchte ich Ihnen und den Gemeinderat-Mitgliedern das Praxishandbuch „Stadttaubenmanagement in deutschen (Groß)Städten“ unseres Bundesverbandes ans Herz legen. Dieses können Sie sich ganz einfach und kostenlos auch als pdf-Datei herunterladen.
Sie finden darin Informationen über effektive Geburtenkontrolle, einfache und kostengünstige Entfernung von Taubenkot und wie eine Gesundhaltung der Tiere durch artgerechte Fütterung und tierärztliche Bestandsbetreuung möglich ist.

Nach dem neuen Gutachten (Arleth C., Hübel J. Rechtsgutachten Stadttaubenschutz. Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung; 29.10.2021. Abrufbar unter: www.berlin.de) gelten Stadttauben als Fundtiere.

Daher haben Kommunen die Pflicht zur Lösung der dauerhaften, menschengemachten tierschutzrechtlichen Herausforderungen hinsichtlich der Stadttauben.

Wir bitten Sie darum, gemeinsam mit Expert*innen an einem geeigneten Konzept zu arbeiten. Die Zahl der betreuten Taubenschläge muss an die Population angepasst werden. Zudem müssen die Tiere täglich Zugang zu artgerechtem Futter, sowie Wasser haben.
In der gegenwärtigen Situation kommt ein Fütterungsverbot, wie bereits oben ausgeführt, einem verhungern lassen gleich. Daher bitten wir Sie, dass Fütterungsverbot aufzuheben oder in fachkundige Hände zu legen (Ausstellen von Ausnahmegenehmigungen), bis Sie ein nachhaltiges Stadttaubenkonzept etabliert haben.
Informieren Sie die Bürger*innen über die Vorteile betreuter Taubenschläge und bitten Sie ggf. um Mithilfe in der Bevölkerung, geeignete Standorte zu finden.

Gerne stehen wir Ihnen für Rückfragen zur Verfügung oder vermitteln Ihnen Kontakte zu anderen Stadttaubenprojekten.

Ich freue mich auf Ihre zeitnahe Rückmeldung.


Mit freundlichen Grüßen

Stephanie Kowalski

Tierärztin

© Tierrechte Baden-Württemberg