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Das Leben im Zoo

Am 07. März 2017 ist das vier Monate alte Eisbärjunge Fritz im Berliner Tierpark gestorben. Zeitgleich jährt sich der Todestag des wohl bekanntesten Eisbärjungen Knut. Er starb vor sechs Jahren an den Folgen einer Gehirnentzündung durch eine Infektion mit Herpes. Seine Geschichte ging um die ganze Welt. Das nahm die internationale Tierrechtsorganisation EndZOO zum Anlass, den "Tag zur Abschaffung der Zoo-Gefangenschaft" für den 19. März auszurufen.

Vor wenigen Wochen wurde das Schicksal des Pinguins in Mannheim in ganz Deutschland verfolgt. Der Pinguin verschwand aus dem Zoo und wurde einige Tage später tot aufgefunden. Neben der Trauer um den vorzeitigen Tod dieser Tiere wollen wir den Aktionstag nutzen, um einmal das Leben zu beleuchten, welches die Tiere im Zoo erwartet hätte.

In Baden-Württemberg gibt es fünf größere Zoos und neun kleinere Tierparks.Tatsächlich ist es aber schwierig, Details zum Leben der Zootiere zu erfahren. Während der Zoo in Heidelberg und die Wilhelma in Stuttgart immerhin eine Auflistung aller Tierarten präsentieren, gibt der zoologische Stadtgarten in Karlsruhe auch auf Nachfrage nicht bekannt, welche Tiere gehalten werden. Noch seltener sind in den letzten Jahren Jahresberichte geworden, in welchen Zoos auf Details des tierischen Lebens, wie Todesfälle, Krankheitsfälle, Neuzugänge und  Zuchterfolge eingehen.

Bevor wir uns der Frage stellen, wie das Leben der Tiere im Zoo aussieht, ist es wichtig, das Leben der Tiere in der Natur zu kennen. Nur mit diesem Wissen im Hinterkopf lässt sich die Frage nach einem artgerechten Leben im Zoo beantworten. Mit Blick auf den Todesfall des Eisbärenjungen in Berlin und dem bevorstehenden Austausch der Eisbären zwischen Karlsruhe und Neumünster, wird sich dieser Artikel auf das Leben von Eisbären konzentrieren.

Wie leben Eisbären in freier Wildbahn?

Eisbären sind die größten an Land lebenden Raubtiere der Erde und leben in den nördlichen Polarregionen. Die Männchen werden etwa doppelt so schwer wie die Weibchen und erreichen ein Körpergewicht von 350 bis 700 kg.

In freier Wildbahn verbringen sie 66 Prozent der Zeit schlafend oder auf Beute lauernd. Zirka 30 Prozent der Zeit wandern und schwimmen sie durchs Terrirorium und 5 Prozent der Zeit wird mit tatsächlicher Jagd und Fressen zugebracht. Das Jagdrevier erstreckt sich über 150 km. Eine Studie aus dem Jahr 2012 fand heraus, dass Eisbären außergewöhnlich große Distanzen schwimmen. Im Schnitt schwammen Eisbärendamen teils mit Nachwuchs 155 km. Der Rekord lag bei einer Strecke von 354 km.

Den überwiegenden Teil ihrer Ernährung stellen Robben dar. Eisbären erbeuten Robben meist, wenn diese zum Luft holen auftauchen müssen oder sich auf Eis ausruhen. Dazu folgen sie dem Geruch des Robbenatems und warten teils Stunden vor Löchern im Eis.

Eisbären sind für gewöhnlich Einzelgänger, mit Ausnahme säugender Mütter. Dennoch sind Territorialkämpfe eher die Ausnahme. Es gibt Berichte, dass ausgewachsene Eisbärenmännchen ritualisierte Kampfspiele austragen und der Zoologe Nikita Ovsianikov spricht sogar von gut entwickelten Freundschaften. In der Paarungszeit hingegen sind die Kämpfe intensiver und offene Wunden und gebrochene Zähne können das Resultat sein. Männchen folgen dem Geruch von Weibchen bis zu 100 km, tragen Kämpfe mit Rivalen aus und paaren sich mehrfach im Verlauf einer Woche. Schwangere Eisbärendamen bauen Höhlen mit bis zu drei Räumen und ziehen sich zur Geburt darin zurück. Nach der Geburt ernährt die Mutter ihren blindgeborenen Nachwuchs einige Monate mit fettreicher Milch bis sie den Eingang zur Höhle aufbricht. Zwei Wochen verbringt der Nachwuchs die Zeit in der Nähe der Höhle, um sich ans Laufen und Spielen zu gewöhnen, bevor die Familie zum Wasser geht und die Mutter ihren Jungen die Robbenjagd beibringt. Bis dahin hat die Mutter bis zu acht Monate gefastet. Im Alter von zirka zwei Jahren werden die Jungen entwöhnt und von der Mutter davongejagt.

In Freiheit erreichen Eisbären ein Alter von - je nach Quelle - 15 bis 25 Jahren und sterben unter natürlichen Umständen an der Unfähigkeit zur Jagd aufgrund von Alter oder Verletzungen. Eine Studie aus dem Jahr 1995 ergab, dass 85 Prozent der freilebenden Eisbärweibchen durch Jäger ums Leben kamen und die Jagd für 10 Prozent der Kindstode verantwortlich war.

Das Leben von Eisbären im Zoo

Die Zahl der Eisbären in Zoos ist weltweit rückläufig.Gab es 1990 noch über 500 Eisbären, waren es 2014 nur knapp über 300 Tiere. Im Jahr 1967 schrieb Karlsruhe Geschichte, denn es hatte mit elf Tieren die größte Eisbärenhaltung Europas. Inzwischen werden Eisbären meist alleine oder in Dreiergruppen gehalten. Allerdings führt Deutschland auch heute noch mit insgesamt 13 Zoos und 30 Eisbären die europäische Spitze an. In Baden-Württemberg befinden sich Eisbären im Karlsruher zoologischen Stadtgarten und der Stuttgarter Wilhelma.

Wie gestaltet sich dem Leben in der Arktis gegenüber das Eisbärleben im Zoo?

Die Fläche ist winzig

Anstelle von hunderten Kilometern zum Schwimmen und um Beute oder Paarungspartner zu verfolgen, gibt es einige hundert Quadratmeter mehr oder weniger den natürlichen Bedingungen nachempfunden Geheges.

Die Außenanlage in Karlsruhe wird von drei Eisbären bewohnt und umfasst eine Fläche von 1900 m². Sie beinhaltet einen künstlichen Eisberg, eine eisschollenähnliche Stufenlandschaft sowie eine Landschaft mit niedrigem Bewuchs, Felsinseln, Wurzeln und Kiefern.

In Stuttgart umfasst das Gehege für eine Eisbärendame eine Fläche von 800 m², welche sie sich regelmäßig mit einem männlichen Eisbären im Sommer teilen muss.

In Deutschland gibt das Säugetiergutachten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft Mindestanforderungen vor, wie die jeweligen Tiere gehalten werden sollen. Darin wird einem Eisbärenpaar eine Fläche von 400 m² als artgerecht zugestanden. Eine Dreiergruppe soll auf mindestens 550 m² gehalten werden. Das Wasserbecken soll davon 100 m² ausmachen und 2 m Tiefe bieten. Das Innengehege soll aus verbindbaren Einzelboxen von 12 m³ Volumen bestehen.

Auf diesem Areal leben die Tiere, welche in der Arktis zweistellige Minusgrade gewöhnt wären bei einer deutschen Jahresdurchschnittstemperatur von 9 °C und sommerlichen Hitzeperioden über 30 °C.

Achtet man bei der Beschreibung der Gehege auf die Wortwahl, fällt auf, dass das oberste Ziel zu sein scheint, dem Besucher eine Illusion darzubieten. Die Wilhelma etwa bewirbt die Anlage für Bären- und Klettertiere wie folgt: "Die große Felsenlandschaft auf der Anlage für Bären und Klettertiere ist durch tiergärtnerische Kniffe so gestaltet, dass die einzelnen Gehege nicht durch Zäune sondern durch versteckte Gräben getrennt sind. Für den Besucher entsteht dadurch der Eindruck einer zusammenhängenden Landschaft." In Karlsruhe ist von "eisschollenähnlicher Stufenlandschaft" und einer in Anführungsstrichen gesetzten "Tundra-Landschaft" die Rede.
Im Jahr 2016 wurde ein Kunstfelsbauer engagiert, um die Anlage zu sanieren.Löcher, Risse, Moos, Pilze und der gräulich gewordene Felskoloss sollten wieder renoviert werden. Mit Spezialfarbe  wird Eis-Feeling auf den Kunstfels gepinselt.

"Dabei unterstreicht der kunstvoll angebrachte bläuliche Eis-Schimmer an einigen Stellen den natürlichen Eindruck steiler Eisberge," kommentierte das Informationsportal Metropolnews und weiter: "Den Eisbären dürfte die kunstvolle Mal-Aktion egal sein, die Besucherinnen und Besucher aber können sich nun wieder an den Polarpetzen in einer eindrucksvollen Eislandschaft erfreuen. "

Verhaltensspektrum ist minimal

Eisbären in Freiheit folgen dem Geruch von Robben kilometerweit und liegen teilweise stundenlang vor einer Öffnung im Eis auf der Lauer, um auftauchende Robben abzupassen oder unvorsichtige Tiere an Land zu erbeuten. Das Körpergewicht pendelt demnach unter natürlichen Bedingungen zwischen der mageren Sommerzeit und der gut genährten Winterzeit der Robbenjagd.
Im Zoo werden sie täglich mit Gras und toten Fischen gefüttert. Das einzige Jagdverhalten ist das Tauchen nach einem untergehenden Fischkadaver.

Während Eisbären in der Arktis dem Duft eines Weibchens über mehrere Kilometer folgen und mit Konkurrenten Kämpfe austragen, werden im Zoo Eisbärendame und -mann im Gehege zusammengeführt. Anstelle einer Wahl werden zwei Tiere miteinander konfrontiert und wenn sich die Tiere nicht verstehen, werden sie so lange durch ein Gitter getrennt, bis sie endlich Interesse aneinander zeigen.

Wo eine schwangere Eisbärendame in der Arktis mit Schnee und Eis kreativ arbeitet und eine Höhle für sich und den Nachwuchs baut, erhalten die Bären im Zoo ein vorgefertigtes Innengehege aus Beton. Das Lehren des Jagdverhaltens durch die Mutter an ihren Nachwuchs ist im Zoo nicht möglich und verloren. Wenige Wochen nach der Geburt werden die Jungen von der Mutter getrennt und in einer "Kindergruppe" aufgezogen, denn andernfalls würde die Eisbärendame ihren Nachwuchs gegenüber dem anderen Männchen verteidigen.

Hektisches Treiben im Zoo

Die natürlich karge und spärlich belebte Umwelt der Arktis weicht im Zoo einem täglichen Zuschauerstrom. Im Jahr 2016 besuchten 1,3 Millionen Menschen die Wilhelma in Stuttgart. Das entspricht einem Besucherandrang von über 3.500 Menschen pro Tag.
Die empfindliche Nase der Bären, welche Robben und Weibchen über Kilometerdistanzen wahrnehmen kann, ist beständig konfrontiert mit den Gerüchen der Tiere in benachbarten Gehegen.

Transporte

Hinzu kommt der regelmäßige Stress für die Tiere durch den Transport zwischen Zoos. Dieser Stress ist noch teils Monate nach dem Transport physiologisch messbar. In dem Bemühen, die Zuschauerzahlen nach oben zu treiben, werden Eisbären munter zwischen Zoos ausgetauscht. Zur Eröffnung der neuen Anlage in Karlsruhe etwa kamen zwei einjährige Eisbären aus Russland bzw. Rostock. Im nächsten Jahr folgt ein Eisbär aus Wien und im Folgejahr einer aus Rotterdam. Aktuell soll ein Eisbärmännchen von Neumünster nach Karlsruhe transportiert werden, welches zuvor im Jahr 2004  von Karlsruhe nach Neumünster umgesiedelt worden war. Zeitgleich verlassen zwei Eisbären den Karlsruher Zoo und werden nach Neumünster transportiert.

In Stuttgart kam ein Bär 1990 aus Karlsruhe, welcher 2014 verstarb. Daraufhin folgte noch im gleichen Jahr ein Eisbär aus München. Dieser wurde wenige Monate später erneut zurücktransportiert. Im nächsten Jahr erreichte den Zoo ein anderer Eisbär aus Nürnberg, welcher ebenfalls sechs Monate später wieder abtransportiert werden sollte. Im Jahr 2016 erklärt letztlich die Kuratorin Ulrike Rademacher: "Eisbären sind eingefleischte Einzelgänger, und Corinna genießt es sehr, dass derzeit kein Männchen da ist“. Corinna ist die verbliebene Eisbärendame.

Der Grund für den nicht aufhörenden Transport von Zootieren ist der Versuch, mit neuen Tieren und  Berichten von Züchtungserfolgen neue Besucher zu gewinnen.

Mythos der Zucht

Insbesondere die Züchtungserfolge von Eisbären finden in Deutschland große Aufmerksamkeit, wie an den Beispielen von Knut und Fritz deutlich wird. Doch was ist eigentlich das Ziel der Zucht? Noch vor einigen Jahren wurde argumentiert, dass die Züchtungserfolge von Zoos für die Arterhaltung wichtig seien. Das ist allerdings nicht haltbar. Die Regulierung der Jagd auf freilebende Eisbären hatte dafür gesorgt, dass die nahezu ausgestorbene Tierart sich von 5.000 bis 10.000 Individuen erholen konnte auf aktuell geschätzt 20.000 bis 25.000 Tiere. Das macht deutlich, dass für die Arterhaltung die Züchtungstätigkeit im Zoo keinen Beitrag leistet.

Hinzu kommt, dass die Bären aus langjähriger Gefangenschaft in freier Wildbahn nicht lebensfähig wären, also nicht ausgewildert werden könnten. Auch deren Nachwuchs kann nicht das Verhalten lernen, welches in der Natur erforderlich wäre. Die Auswilderung von Eisbären findet de facto also nicht statt und die Züchtung dient dem Erhalt der Population in den Zoos.

So gerne Zoos auch die Geburt von Nachwuchs bekannt geben, werden viele Problemfelder nur kleinlaut kommuniziert. Beim männlichen Eisbär des Karlsruher Zoogartens wurde Unfruchtbarkeit festgestellt. Seit 25 Jahren wurde in Karlsruhe kein einziger Eisbär mehr geboren. Weltweit wurden in einem Zeitraum von 24 Jahren insgesamt 277 Eisbären im Zoo geboren. Das macht 11 Eisbärgeburten in Zoos weltweit pro Jahr. Im Schnitt erreichen 40 Prozent der Eisbären im Zoo das Erwachsenenalter. Tatsächlich überleben in freier Wildbahn mehr Junge. 52 Prozent der Jungtiere überleben die kritische Phase bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr und das obwohl jedes zehnte Jungtier aufgrund von menschlicher Jagd stirbt.

Ein weiteres großes Problem bei der Zuchtaktivität ist die Gefahr der Inzucht. Bei deutschlandweit 30 Eisbären ist die Auswahl an Geschlechtspartnern begrenzt. Auch weltweit sind von den ca. 300 Eisbären nur 30 Prozent Männchen.

Zoos in der Kritik

Das Bewusstsein, dass die Tierhaltung in Zoos nicht artgerecht ist, wächst zunehmend. Die Frage, ob es Tieren im Zoo besser ginge als in der Natur, wurde 2014 von 74 Prozent der Befragten mit Nein beantwortet. Nur jeder fünfte Befragte war der Meinung, Tieren im Zoo ginge es besser. In der Folge bemühen sich die Verantwortlichen, das Bild von der Situation im Zoo wieder zu verbessern.Unsichtbare Begrenzungen der Gehege wie die Gräben der Bärenanlage in Stuttgart anstelle von Wänden und hohen Zäunen sollen Freiheit suggerieren, wo keine da ist. Bemalte Kunstfelsen sollen dem Besucher ein Bild von Natürlichkeit vermitteln. Außerdem werden neue Gehege größer angelegt und abwechslungsreicher gestaltet. Dem Maßstab eines artgerechten Tierlebens können hingegen solche kosmetischen Korrekturen nicht gerecht werden.

Tierisches Wohlbefinden im Zoo?

Regelmäßig streiten sich Tierrechtler und Zoobetreiber, ob die Tiere im Zoo leiden oder sich wohl fühlen.DieTiere können auf diese Frage nicht direkt antworten. Also werden andere Parameter ins Feld geführt.

Das Alter

Ein beliebtes Argument seitens der Zoo-Betreiber ist das hohe Alter, das einige Tiere im Zoo erreichen. Da die Bären im Zoo weder gejagt werden noch selbst jagen müssen, sind die zwei Hauptursachen für den Tod in freier Wildbahn weitgehend ausgeschlossen. In der Folge werden Eisbären im Zoo regelmäßig über 25 Jahre alt. Ausnahmerekorde wie die 42 Jahre alt gewordene Eisbärendame im Zoo Winnipeg sind auf ein gutes genetisches Erbe zurückzuführen. Die Frage des Wohlbefindens der Tiere wird damit jedoch nicht beantwortet.

Der Nachwuchs

Im Fall von Zuchterfolgen wird ebenfalls gerne argumentiert, dass es den Tieren ja gut gehen müsste, denn sonst hätten sie ja keine Motivation zur Fortpflanzung. Jeder Mensch dürfte schon die Erfahrung gemacht haben, dass Stress auf die Libido drückt. Die Argumentation hinkt dennoch. Auch Menschen verlieren in Gefängnissen nicht ihren Sexualtrieb wie zahlreiche Statistiken belegen. Die Lebensumstände in menschlichen Gesellschaften können gar nicht derart schlecht sein, dass der menschliche Sexualtrieb darunter stirbt. Daran sieht man, dass weder die sexuelle Bereitschaft noch die Zahl der Nachkommen von Zootieren herangenommen werden können, um die Frage nach dem Wohlbefinden zu beantworten.

Die Flucht

Zum Missfallen der Zoo-Leitung entkommen regelmäßig Tiere ihrem Gehege. Vergangene Woche verließ ein Bär sein Gehege im Osnabrücker Zoo. Zehn Minuten später wurde der Bär erschossen. Eine Betäubung hätte zu lange gedauert und wäre für die Zoo-Besucher zu riskant gewesen, argumentierten die Verantwortlichen. Dabei legte der Bär in diesen zehn Minuten eine Strecke von rund 100 Metern zurück.

Einige Jahre zuvor waren vier Eisbären im Nürnberger Zoo freigekommen und wurden ebenfalls letztlich erschossen. Die Zoo-Leitung möchte möglichst gar nicht über die Motivation der Tiere, das Gehege zu verlassen, sprechen. Kritiker hingegen weisen darauf hin, dass ein Ausbruch aus dem Gehege nicht zu dem Bild luxuriöser Idylle passt, welches Besuchern gerne präsentiert werden soll. Denn wer würde schon aus eigenem Antrieb sein wohliges Zuhause verlassen wollen?

Noch vor einigen Jahren war es üblich, auch in Fachpublikationen in Bezug auf das Leben im Zoo von Gefangenschaft zu sprechen und tatsächlich findet sich im englischen Sprachraum das entsprechende Wort captivity weiterhin. In Deutschland wurde ein neues, weniger verfängliches Wortpaar gesucht und schließlich "menschliche Obhut" etabliert. In jemandes Obhut zu sein verspricht ein wohlwollenderes Verhältnis als in Gefangenschaft zu leben. Mit ein bisschen Abstand von Begrifflichkeiten wie "menschliche Obhut" oder "Zoo-Gefangenschaft", lässt sich erkennen, dass die Tiere selbst gar kein Verständnis über die Absicht der Anlagenbegrenzung haben. Die Tiere stellen fest, dass ihnen bei Gräben, Zäunen und Betonwänden die Möglichkeiten fehlen, weiter voranzukommen. Hingegen ist zweifelhaft, ob sie darüber reflektieren, dass dies Absicht sein könnte und dem Zweck dienen, sie in einem fest definierten Areal gefangen zu halten. Eventuell liegt gar keine Absicht zum Ausbruch aus einer Gefangenschaft vor, sondern zur naiven Erkundung neuen Terrains. Das gemütliche Herausspazieren der vier Eisbären in Nürnberg hat jedenfalls wenig Eindruck von Flucht und auch eine zurückgelegte Strecke von 100 Metern in 10 Minuten lässt eher an einen gemütlichen Erkundungsbummel denken als an ein Rennen in Freiheit.

Während Ausbrüche in Zoos also nicht zwangsläufig ein Beweis für leidvolles Leben im Zoo sind, können sie auf Langeweile oder Dauerstress der Tiere hindeuten und zerstören das Bild der Zoo-Leitung, die Tiere wären mit ihrem Gehege zufrieden und glücklich mit dessen Begrenzungen.

Die Verhaltensstörungen

Ein eindeutiges Zeichen, dass die Tiere unter ihrem Leben im Zoo leiden, sind hingegen Verhaltensstörungen, sogenannte Stereotypien. Im Bezug auf den Menschen fasst der Begriff Hospitalismus die negativen Begleiterscheinungen eines Gefängnisaufenthalts zusammen. Bei Zootieren sind die bekanntesten Beispiele das Auf und Ablaufen eines Tigers im Gehege, das Weben des Kopfes bei Elefanten oder das Kopfdrehen bei Giraffen.

Bei Eisbären wurden im Rahmen einer Doktorarbeit im Jahr 2006 zahlreiche Stereotypien festgestellt. Zusammengefasst wurde für die Eisbären in deutschen Zoos erklärt: "Bei den Männchen stereotypierten 94 Prozent, bei den Weibchen 95 Prozent." Die Bären in Baden-Württemberg wiesen verschiedene Verhaltensstörungen auf. Die häufigste Stereotypie war das wiederholte Abgehen einer festen Strecke, teils mit Wiegen des Kopfes. Außerdem ließen Bären die Unterlippe hängen und schwingen oder vibrieren, rümpften auffällig die Nase, ließen beim Gehen das Maul klappen oder scharrten mit den Pfoten auf dem Boden.

Von Seiten der Zoos werden die Befunde von Verhaltensstörungen leichthin abgetan. Zuletzt war eine Eisbärendame der Wilhelma 2016 in die Schlagzeilen geraten, nachdem ein Video bekannt wurde, auf welchem sie jene Verhaltensstörungen zeigte. Der Zoo-Direktor sah sich gezwungen, darauf zu antworten. Die Dauer der Verhaltensstörung sei zu gering, um ernst genommen zu werden und Forderungen nach Veränderungen wurden mit dem Verweis auf das Alter der Bärendame abgetan. Mit 26 Jahren wäre der Umzug in einen anderen Zoo und eine Auswilderung sowieso ausgeschlossen.

Fazit

Das Leben von Eisbären im Zoo findet unter vollkommen unnatürlichen Bedingungen statt, geprägt von gravierendem Platzmangel, der Unmöglichkeit zu arttypischem Verhalten und unverhältnismäßigem Einstrom von Sinnesreizen durch Tiere und Menschen in der Umgebung.
Die einzige Möglichkeit, der Frage nach dem Wohlbefinden im Zoo nachzugehen, ist die Untersuchung von Stresshormonen im Kot der Tiere und die Beobachtung von Verhaltensstörungen. Nahezu alle Eisbären in deutschen Zoos zeigten solche Stereotypien. Und es ist unzweifelhaft, dass die Tiere das Gehege verlassen und eine größere Fläche erkunden würden, wenn ihnen die Möglichkeit dazu gegeben wäre.

Das Selbstverständnis der Zoos

Noch vor einigen Jahren argumentierten Zoos, dass die Haltung und Zucht der Tiere in Gefangenschaft dem Artenschutz dienen würde. Heute ist weitläufig bekannt, dass die Haltung der Tiere einzig dem Gefallen von Besuchern dienen soll, welche einmal exotische Tiere sehen, aber dabei die eigene Heimat nicht verlassen wollen. Die Zucht dient nicht dem Artenschutz sondern dem Eigennutz, auch in Zukunft Tiere präsentieren zu können und neue Besucher mit Jungtieren anzulocken.
Heutzutage argumentieren Zoos daher mit einem Bildungsauftrag und der Funktion eines Mahnmals durch die ausgestellten Tierarten. Durch die in Gefangenschaft lebenden Tiere soll den Besuchern die Schönheit und Bedeutung der Umwelt nahegebracht werden und damit ein Bewusstsein über die Bedeutung von Artensterben und Klimawandel. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob die Präsentation von verhaltensgestörten Tieren auf winzigen Flächen ohne Möglichkeiten , ihr natürliches Verhalten auszuleben, notwendig ist, um Menschen die Bedeutung von Klimawandel näherzubringen  und ob der Zweck die Mittel heiligt. Arten- und Naturschutz sind wichtige Angelegenheiten und ein Bewusstsein für die Schönheit und Bedeutung der verschiedenen Tierarten zu schaffen ist sicherlich essentiell. Zu diesem Zweck Tieren in einem kärglichen und stressigen Leben in Gefangenschaft zu halten und zu präsentieren ist jedoch der falsche Weg.

Zuletzt weisen Zoos gerne auf Naturschutzprojekten und internationales Engagement hin. Damit soll gezeigt werden, dass nicht nur die Tiere vor Ort ein Beitrag zum Artenschutz sein sollen, sondern der Zoo als Institution auch große Naturschutzprojekte unterstützt. Dieses Engagement ist allerdings auch ohne die Haltung der Tiere in Zoos möglich.

Die finanzielle Lage der Zoos weißt auf einen anderen Notstand hin. Die Einnahmen durch Besucher decken nur 70 Prozent der Kosten. Das ist nicht weiter verwunderlich. Die Kosten für die Haltung von Eisbären betragen über 11.000 Euro monatlich. Das hingegen macht deutlich, dass der Zoo auf große Mengen an Förderzuschüssen angewiesen ist, um weiterhin mit eingesperrten Tieren Besucher anzuwerben.

Wie sehr sich Zoos inzwischen in Bedrängnis sehen, zeigt die eingangs erwähnte verschwindende Transparenz. Es ist nahezu unmöglich, an Informationen zum tierischen Leben im Zoo heranzukommen.

Eine Zoo-Leitung, welche sich der Verantwortung bewusst ist, sollte den Umgang mit den tierischen Bewohnern transparent machen. Das bedeutet, dass es verschiedene Dokumente braucht, damit sich die Öffentlichkeit ein Bild vom Zoo machen kann. Ein Jahresbericht mit Tierbestandsliste, welcher ausführlich über Tiergeburten, Tierzugänge, Tierabgaben, Tierverluste, Baugeschehen und Besucherzahlen informiert, ein Veterinärbericht, welcher die Erkrankungen der tierischen Bewohner fachlich beleuchtet und ein Geschäftsbericht zur Verwendung von Finanzmitteln sind wichtige Werkzeuge, um Zoos beurteilen zu können.

Ausblick

Die Zahl der Eisbären in Zoos sinkt kontinuierlich und das Bewusstsein um die Ansprüche eines artgerechten Lebens nimmt in der Bevölkerung immer weiter zu. Zoos stehen heute so stark wie noch nie unter Rechtfertigungsdruck. Sie haben mit stagnierenden Besucherzahlen und einer unzureichenden Kostendeckung zu kämpfen. In der Folge sind sie auf öffentliche Zuschüsse angewiesen und verbergen Details ihrer Arbeit.

Mit der Forderung nach notwendiger Transparenz können sich Zoos ihrer Verantwortung gegenüber den Tieren vor der Öffentlichkeit nicht weiter entziehen. Familienangehörige müssen überlegen, inwiefern der Spaß von Kindern beim Anblick eines fremden Tiers das damit verbundene Leid rechtfertigen kann. Die wenigsten Kinder wollen, dass zu ihrem Spaß andere Tiere leiden müssen.

© Tierrechte Baden-Württemberg