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Chip Verfahren

HUMAN-ON-A- CHIP: Welche Tierversuche sind ab 2017 überflüssig?

Interview mit dem Biologen Dr. Uwe Marx

Dr. Uwe Marx von der TissUse GmbH in Berlin ist einer der weltweit führenden Forscher der Organs-On-Chip-Modelle. Für 2017 ist die Reproduktion von mindestens 10 Mini-Organen auf einem Chip geplant. In einem Interview hat er Menschen für Tierrechte – Tierversuchsgegner Baden-Württemberg e.V. erklärt, was dies für die tierversuchsfreie Forschung bedeutet.

Biochip Marx web © Uwe Marx

Die Gummibärchen dienen zur Verdeutlichung der geringen Größe des Chips. Auf dem Foto sind in rot der 2-Organ-Chip zu sehen und der erste Prototyp des 4-organ-Chips in grün. Stand März 2015


MFT: Dr. Marx, 2014 erhielten Sie den Tierschutzforschungspreise und im Dezember erst titelte die Berliner Zeitung: „Dieser Mann könnte tausende Tiere retten"- Warum möchten Sie Tiere retten?

UM: Da wo Tierversuche entbehrlich sind, weil sie entweder keine korrekten Aussagen für die eigentliche Fragestellung bringen oder unangemessen stark leiden, ist ihr Einsatz aus meiner Sicht sinnlos und ethisch nicht vertretbar.

MFT: Im Jahr 2010 gründeten Sie TissUse in Spreenhagen bei Berlin, das eng mit dem Institut für Biotechnologie der TU Berlin zusammenarbeitet. Seither haben Sie es geschafft, zwei Mini-Organe zusammenzuschließen – zum Beispiel Haut und Immunsystem. Auch eine künstliche Leber und eine funktionierende Niere im Mikroformat sind Ihrem Team schon gelungen. Welche Tierversuche können heute durch die Reproduktion dieser Organe bereits vermieden werden?

UM: Wir arbeiten mit der Industrie an der Qualifizierung und Validierung von Tests, die beispielsweise die Neuro- oder Kardiotoxizität von Arzneimittelmetaboliten, die in der menschlichen Leber entstehen, frühzeitig identifizieren. Wenn diese Methoden in der Arzneimittelentwicklung dann VOR den Tierversuchen eingesetzt werden, kommen derartige Arzneimittel gar nicht mehr zur Testung im Tier. Damit reduzieren wir die Anzahl der Tierversuche.

MFT: Wer sind die Abnehmer dieser 2-Organs-on-a-Chip Modelle? Industrie oder auch Universitäten?

UM: Die 2-Organ-Chip Modelle werden aktuell von der Kosmetikindustrie auf Einsetzbarkeit in der Bewertung des Gefahrenpotentials neuer Zusatzstoffe von Hautpräparaten getestet. Bei kooperierenden Forschungspartnern liegt der Schwerpunkt auf systemischer Metabolitentoxizität in anderen Organen, nachdem die Substanzen in der Leber verstoffwechselt worden sind. Zum Beispiel ist die Neurotoxizität dieser Metabolite hier ein Schwerpunkt in einem 2-Organ-Chip, der über Wochen menschliche 3D Leberspheroide mit menschlichen Neurospheroiden kombiniert.

MFT: Ihr Ziel ist es, bis 2017 mindestens zehn Organe auf einem Chip zu vereinen, um auf diese Weise die Biochemie des Körpers im Wesentlichen zu imitieren. Welche Organe sind dies?

UM: Es handelt sich hierbei um folgende miniaturisierten Organe und Systeme des menschlichen Organismus: Lunge, Darm, Leber, Niere, Haut, Fettgewebe, Nervensystem, Immunsystem und Endokrines System. Diese werden durch einen kardiovaskulären Kreislauf physiologisch miteinander verbunden sein. Bezüglich dieser Gesamtaufstellung haben wir wissenschaftlichen Konsens mit einer seit Mitte 2012 sehr gut finanzierten US-Initiative zur Entwicklung derartiger „Human-on-a-Chip" Lösungen. Ob die hier benannten Systeme, wie z.B. das Immunsystem durch nur ein Organ oder mehrere Organe vertreten sein müssen, ist noch umstritten. Deshalb zielen wir auf MINDESTENS 10 Organe ab. Inwiefern wir unser Ziel im angestrebten Zeithorizont schaffen, hängt maßgeblich von einer entsprechenden Finanzierung ab. Aber auch die US-amerikanischen Kollegen haben das Jahr 2017 für erste Machbarkeitsnachweise von „Human-on-a-chip" Lösungen im Visier.

MFT: Welche Organe sind am schwierigsten zu reproduzieren?

UM: Nach unserem heutigen Kenntnisstand die Niere und das Gehirn.

MFT: Könnte ein „Brain-on-a chip-Modell" auch Gehirnversuche an Tieren (Primaten, Ratten, Katzen, Rabenvögeln usw.) ersetzen?

UM: Experimente, die die komplexe Architektur und Interaktion großer Gehirnareale voraussetzen, können wir in diesem Bereich nicht ersetzen. Das liegt daran, dass die aktuellen „Human-on-a-chip" Entwicklungen weltweit auf stark miniaturisierte Organmodelle abzielen, um den zukünftig notwendigen Substanztestdurchsatz bei akzeptablen Kosten und mit möglichst wenig menschlichem Gewebe zu gewährleisten. Die Organgröße auf den Chips liegt deshalb bestenfalls im Bereich von einigen wenigen Millimetern Durchmesser pro Organ. Das menschliche Gehirn wird hier dann z.B. nie mehr als ein 5 Quadratmillimeter großer Ausschnitt der etwa 1,4 mm dicken Großhirnrinde mit den entsprechenden Nervenzellinteraktionen sein können. Das erlaubt die Bewertung von Reizleitung und von toxischen Einflüssen auf die menschliche Großhirnrinde, führt jedoch auf den Chips weder zu bewusstem Denken noch zur Entwicklung von Gefühlen und Emotionen. Dazu ist die Größe und spezifische Architektur des menschlichen Gehirns in seiner vollen Ausprägung notwendig. Im Übrigen ist sich unsere Forschergemeinschaft hier auch weitestgehend darin einig, dass jedes komplexere Gehirnmodell den Miniorganismus immer mehr zu einem Menschen machen würde und deshalb aus ethischen Gründen unakzeptabel ist.

MFT: Sie werden zitiert: „hiermit ließe sich ein Großteil aller Tierversuche in Zukunft ersetzen". Welche Tierversuche wären mit einem Miniorganismus nicht ersetzbar?

UM: Wie schon für das Gehirn oben erwähnt, gibt es natürlich auch Medizinprodukte und Arzneimittel die nur an Organen in ihrer natürlichen Größe getestet werden können. Bioimplantate für Knochenbrüche beispielsweise, oder Heilverfahren die auf die volle Pumpkapazität eines menschlichen Herzens abheben, können wir in miniaturisierten Chips nicht nachstellen, da der Chip keine großen Knochen hat und das Mikro-Herz auf dem Chip viel geringere Leistungen erbringen muss, als das Herz eines 80kg schweren Menschen.

MFT: Sind Ihrer Meinung nach Tierversuche / Tierverbrauch auch im Studium überflüssig / ersetzbar?

UM: Aktuell werden in Europa ja noch deutlich mehr als 9 Millionen Tierversuche pro Jahr an Vertebraten durchgeführt. Ich nehme an, dass in diesen Versuchen die Tiere weniger leiden, je besser die Experimentatoren ausgebildet sind. Die große Zahl macht aktuell eine ausschließlich in den tierexperimentellen Einrichtungen konzentrierte Spezialausbildung vor Ort unmöglich. Da es auch bei Erfolg der „Human-on-.a-chip"- Entwicklungen zukünftig noch einen oben erwähnten geringen Anteil an Tierversuchen geben wird, muss man zu gegebenem Zeitpunkt prüfen, ob der dann verbleibende Bedarf an Personal auch in Spezialausbildungen außerhalb des Studiums erfolgen kann.

MFT: Warum halten Ihrer Meinung nach viele Wissenschaftler hartnäckig an Tierversuchen fest und was müsste passieren, damit sich dies ändert?

UM: Wissenschaftlich anerkannte Alternativmethoden, die in Aufwand und Kosten vergleichbar mit dem ehemaligen Tierversuch sind, aber eine höhere Aussagekraft haben, würden sicher jeden objektiv urteilenden Wissenschaftler zum Wechsel animieren. Die inhaltliche und ökonomische Machbarkeit von Alternativen muss aber gezeigt und aktiv an die entsprechenden Wissenschaftler kommuniziert werden.

MFT: Wie denken Sie darüber, dass bei der Abwägung zwischen den grundsätzlich gleichrangigen Verfassungsgütern Forschungsfreiheit und Tierschutz in vielen Fällen der Forschungsfreiheit eine höhere Bedeutung beigemessen wird als dem Leid der Tiere? Wo hört die Forschungsfreiheit ihrer Meinung nach auf?

UM: Wir stufen die lebenden Mitbewohner unseres Planeten bewusst immer nach der Hierarchie ihrer evolutionären Nähe zu uns ein. Je näher, umso bemitleidenswerter. So sind uns aktuell Fische, Insekten und Pflanzen hervorragende Ziele für das Ausleben unserer Forschungsfreiheit, während bei Primaten und Haustieren die Empathie innerhalb unserer Spezies bereits sehr weit auseinander geht. Ich persönlich lege sehr viel Wert auf uneingeschränkte Forschungsfreiheit, sie muss nur immer innerhalb meiner ethischen und moralischen Werte bleiben. Fassbarer Nutzen für den Menschen muss mit eventuellem Leid der Tiere in einem für mich ethisch akzeptablen Verhältnis stehen. Diesbezüglich bewerte ich jeden Tierversuchsansatz individuell.

MFT: Wie könnten Politiker die tierfreie Forschung und die Entwicklung tierfreier Forschungsmethoden gezielter fördern?

UM: Ich glaube, insbesondere durch stärkere Konzentration auf gezielte Alternativversuchsförderung und durch die verbesserte bundesweite Kommunikation relevanter Entwicklungsergebnisse.

MFT: Für welche Forschungsbereiche in Baden-Württemberg wären Ihre Organs-on-a-Chip-Modelle besonders interessant?

UM: Dazu kenne ich mich in den Forschungsbereichen in Baden-Württemberg zu schlecht aus.

MFT: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben für das Interview!

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