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Vergrämung von Stadttauben

Vergrämung von Stadttauben

Über besorgte Anwohner*innen aus Reutlingen und aus der Presse erfuhren wir, dass dort Stadttauben unter einer Brücke vergrämt werden sollen und es bereits Fehlversuche gab, bei denen unter anderem auch Küken hinter Netzen eingeschlossen wurden. Daher haben wir den folgenden Brief an verschiedene Verantwortliche in Reutlingen gesendet und um einen anderen Weg gebeten.

 

Stuttgart, 20. Oktober 2023

Betreff: Geplante Vergrämung der Stadttauben in der Brücke Unter den Linden


Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Keck,
sehr geehrter Bürgermeister Hahn,
sehr geehrte Frau Baubürgermeisterin Weiskopf,
sehr geehrte Gemeinderatsmitglieder,

ich schreibe Ihnen im Namen von Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg e.V., einem gemeinnützigen Verein, der sich bereits seit 1983 erfolgreich für die Rechte der Tiere einsetzt. Über die Presse haben wir erfahren, dass seit mehreren Wochen Vergrämunsmaßnahmen gegen die Stadttauben durchgeführt und geplant werden, die in der Brücke Unter den Linden leben. Anwohner*innen haben uns berichtet, dass es bei diesen Maßnahmen zu tierschutzrelevanten Fehlern durch die Firma kam, die die Vergrämungsmaßnahmen durchführt. So wurden zum Beispiel Eier nicht richtig ausgetauscht, Küken wurden vergessen und so landeten um die 30 Küken bei Tierschützer*innen, die sich nun kostenlos um die Aufzucht kümmern müssen. Dadurch mussten auch die Netze wieder entfernt werden und nun sind wieder Küken da. 19 Küken und Eier befinden sich aktuell unter der Brücke und nun soll wieder ein Netz gespannt werden. Das ist so nicht tierschutzkonform. Die Küken müssen entsprechend tierschutzgerecht umgesiedelt werden und auch bei den Eiern ist der Status der Bebrütung tierschutzrelevant. Denn so könnten Küken schlüpfen, die dann hinter Netzen eingeschlossen sind, wie es anscheinend ja bereits der Fall war. Laut Gesetz müssen die Eier früh ausgetauscht werden und bei der Vergrämung dürfen weder Jungtaube noch Küken im Nest sein. 

Auch problematisch ist, dass die Aktionen bisher nachts durchgeführt wurden, wohl um den Verkehr nicht zu behindern. Tauben sind aber nicht nachtaktiv und sie zu dieser Zeit aus ihren Nestern zu vergrämen, führt einerseits zu erheblichem Stress, aber kann auch bedeuten, dass sie Wild- und Haustieren zum Opfer fallen oder durch Gebäude oder Fahrzeuge zu Tode kommen. Auch das ist so nicht mit dem Tierschutzgesetz vereinbar.

Wir haben in der Presse auch gelesen, dass die Stadt Reutlingen bereits zwei Taubenhäuser hat. Das ist lobenswert. Wichtig ist allerdings, dass in diesen Futter (täglich 30-50g Körnerfutter/Tier) und frisches Wasser zur Verfügung gestellt werden, sodass die Tiere sich auch wirklich dauerhaft ansiedeln.  

Wir sind absolut Ihrer Meinung, dass die Stadttauben nicht dauerhaft in der Brücke leben sollten, gerade wenn es dort zum Alltag gehört, dass Küken überfahren werden und auf der Straße verwesen.
Die einzig nachhaltige Lösung in der aktuellen Situation ist es, einen weiteren Taubenschlag in näherer Umgebung der Brücke einzurichten, in welchem täglich Futter und Wasser zur Verfügung gestellt werden. Natürlich sollten auch die Eier getauscht werden, damit die Population langfristig sinkt. Erst dann macht eine Vergrämung Sinn, denn so werden sich die Stadttauben einfach an anderen Orten in der Stadt verteilen und das Problem wird nur verlagert. Dann werden wieder Kosten für Reinigung und ggf. auch Vergrämung nötig und die Problematik wird sich nie lösen.

Vorort gibt offensichtlich Tierschützer*innen die den Stadttauben helfen, was eine gute Voraussetzung ist, um gemeinsam einen Taubenschlag und eine anschließende Umsiedlung umzusetzen.
Laut des verlinkten Gutachtens der Berliner Tierschutzbeauftragten (https://www.berlin.de/lb/tierschutz/stellungnahmen/rechtsgutachten_stadttaubenschutz_rechtlicherstatus_kommunale-pflichten-und-zustaendigkeiten-2.pdf), tragen Städte eine Fürsorgepflicht für die Stadttauben. Herr Rechtsanwalt Dr. Eisenhart von Loeper beleuchtet in seiner Ausarbeitung „Effektivität des Tierschutzrechts: Tierschutzrechtskonforme Taubenhäuser, kommunale Fütterungsverbote und Nothilfe für Tiere“ auch die rechtliche Seite dieser tierschutzkonformen Taubenhäuser und Nothilfe für Tiere (z. B. Punkt 3: Kommt es durch das Aushungern-Lassen zugleich zum Hungertod der Tiere, wird die Tötung durch unterlassene Hilfe ohne „vernünftigen Grund“ begangen, strafbar nach § 17 Nr. 1 TierSchG).

Die heutigen Stadttauben sind die Nachfahren von einst ausgesetzten Haustieren. Diese Tiere sind nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen, da der Mensch sie in seine Abhängigkeit züchtete. Da Tauben das ihnen vom Menschen angezüchtete Verhalten nicht ändern können, stehen wir in der Verantwortung, ihnen zu helfen.
Ein Taubenschlag ist langfristig günstiger als die Reinigungskosten für Gebäude und ggf. eine Installation von Abwehrmaßnahmen durch entsprechende Firmen, welche das ,,Problem“ nie langfristig lösen, sondern nur verlagern.

Als Lektüre zum Thema Stadttaubenmanagement möchte ich Ihnen und den Gemeinderat-Mitgliedern daher das Praxishandbuch „Stadttaubenmanagement in deutschen (Groß)Städten“ unseres Bundesverbandes ans Herz legen.

Dieses können Sie sich ganz einfach und kostenlos auch als pdf-Datei herunterladen (https://www.tierrechte.de/wp-content/uploads/2021/09/2021-HB-Stadttaubenmanagement_web.pdf).

Ein Exemplar habe ich Ihnen beigelegt. Sie finden darin Informationen über effektive Geburtenkontrolle, einfache und kostengünstige Entfernung von Taubenkot und wie eine Gesundhaltung der Tiere durch artgerechte Fütterung und tierärztliche Bestandsbetreuung möglich ist. Gerne stelle ich für Sie den Kontakt zu den Verfasserinnen her, wenn Sie den persönlichen Austausch wünschen.

Mit freundlichen Grüßen

Julia Thielert

M.Sc. Animal Welfare Science
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg e.V.

© Tierrechte Baden-Württemberg