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Tierfreie Forschung

Tierversuchsfreie Forschung

Foto: Dr. Uwe Marx

Aktuelle Studien belegen, dass 95 % der Medikamente in klinischen Studien am Menschen durchfallen, die sich zuvor im Tierversuch als unbedenklich und wirksam erwiesen hatten. Von den verbleibenden Arzneimitteln, die auf den Markt gekommen waren, muss ein Teil wegen schwerer Nebenwirkungen wieder zurückgerufen werden. Immer mehr Wissenschaftler und Politiker erkennen die methodischen Mängel des Tierversuchs und das Potenzial moderner tierfreier, am Menschen orientierter Test- und Forschungsmethoden. So beschlossen bereits 2008 namhafte US-Institutionen wie die US-Umweltschutzbehörde EPA (Environmental Protection Agency), die US-Gesundheitsinstitute NIH (National Institutes of Health) und die US-Arzneimittelzulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) aufgrund der schlechten Übertragbarkeit, der hohen Kosten und der langen Dauer von Tierversuchen, Chemikalien und andere Stoffe nur noch mit automatisierten Zellsystemen und Computermodellen zu testen. Und die europäischen Länder formulieren folgerichtig in der Tierversuchsrichtlinie (2010/63/EU) als „letztendliches Ziel“, Verfahren mit lebenden Tieren für wissenschaftliche Zwecke und Bildungszwecke vollständig durch alternative Methoden zu ersetzen.

Tierversuchsfreie Verfahren bieten entscheidende Vorteile gegenüber Tierexperimenten

Das 3R Prinzip, das bereits 1959 von den britischen Wissenschaftlern William M. S. Russell und Rex L. Burch formuliert wurde, ist heutzutage die Grundlage des (tierexperimentellen) wissenschaftlichen Arbeitens. Es zielt darauf ab, Tierversuche durch den Einsatz alternativer Methoden zu vermeiden (Replacement), die Anzahl der Tiere zu vermindern (Reduction) und ihr Leiden auf das unerlässliche Maß zu beschränken (Refinement). Das 3R-Konzept ist ein wichtiger, aber nicht ausreichender Schritt in die richtige Richtung, da es Tierversuche nicht grundsätzlich in Frage stellt, sondern nur graduell ersetzen will. Eine ethisch vertretbare Forschung muss aus unserer Sicht zukünftig ausschließlich an empfindungsloser Materie erfolgen.

Zudem sind Studien an menschlichen Zell- und Gewebekulturen, computergestützte oder bildgebende Methoden nicht nur kostengünstiger, sondern liefern eindeutigere, sicherere und schnellere Ergebnisse als Tierversuche. In-vitro-Systeme reagieren in vielen Fällen deutlich empfindlicher auf toxische Wirkstoffe als lebende Tiere. Mit automatisierten Testverfahren lassen sich innerhalb eines Tages mehrere tausend Chemikalien und Medikamenten gleichzeitig untersuchen, während Versuchsreihen an Tieren oft Monate und Jahre dauern und kaum brauchbare Ergebnisse hervorbringen.

Bisher kein Durchbruch in Sicht

Trotzdem in den vergangenen Jahren eine Fülle höchst leistungsfähiger tierversuchsfreier Verfahren entwickelt wurde, forscht die Mehrheit der Wissenschaftler noch immer an Tieren. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eingefahrene Überzeugungen, Bequemlichkeit, Profilierungsstreben oder unkontrollierbarer Forscherdrang insbesondere in der Grundlagenforschung verhindern bisher, dass neue tierfreundliche Wege beschritten werden. Und auch in der Politik fehlt offensichtlich der Wille oder der Mut, sich endgültig vom System Tierversuch zu verabschieden. So steckt die Bundesregierung pro Jahr durchschnittlich gerade einmal 4 Millionen Euro in die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden, während die Förderung der tierexperimentellen Forschung (u.a. für den Bau neuer Versuchslabore) Milliarden an öffentlichen Geldern verschlingt. Auch die schleppenden jahrelangen Prüf- und Anerkennungsverfahren (Validierung) verzögern den dringend notwendigen Ausstieg aus dem Tierversuch unvertretbar lange – ebenso wie das Fehlen einer Gesamtstrategie für die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden.

Was nötig ist

Der Weg in eine Forschung ohne Tierleid führt über ein konsequentes Förderprogramm für die Entwicklung und Anwendung tierfreier Forschungs- und Testmethoden. Wir fordern deshalb unter anderem:

  • die Einrichtung von Förderetats für tierversuchsfreie Verfahren sowohl auf Bundes- als auch EU-Ebene, die mindestens dem Fördervolumen für die tierexperimentelle Forschung entsprechen.
  • den Ausbau von Lehre und Forschung einer tierversuchsfreien Wissenschaft, insbesondere die Einrichtung von Lehrstühlen und Professuren an Universitäten sowie die Etablierung tierverbrauchsfreier Studiengänge.
  • die Ausweitung von Verboten zur Reduktion der Tierversuche (z.B. Verbot von Tierversuchen für Haushaltsprodukte und von Versuchen an Affen, Verbot von Tierversuchen der Kategorie „schwer“, die mit „starken Schmerzen, schweren Leiden oder schweren Ängsten einhergehen“)
  • eine Jahresstatistik über die Entwicklung und Anwendung tierversuchsfreier Methoden, die retrospektive Bewertung (Schaden-Nutzen-Analyse) aller durchgeführten Tierversuche sowie
  • die drastische Verkürzung der Prüf- und Anerkennungsverfahren für tierversuchsfreie Techniken

Die Zukunft gehört einer ethisch unbedenklichen Medizin, die ohne den Missbrauch von Tieren auskommt. Von einer konsequenten Umsetzung einer Gesamtstrategie für die Entwicklung und Anwendung tierfreier Forschungs- und Testmethoden würden sowohl Baden-Württemberg als auch Deutschland als innovative Wissenschaftsstandorte profitieren.



Quellen:
Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Ärzte gegen Tierversuche e.V.
Bundesinstitut für Risikobewertung http://www.bfr.bund.de


Problem Validierung

Tierversuche wurden nie einer wissenschaftlichen Überprüfung auf ihre Sicherheit, Zuverlässigkeit, Aussagekraft oder Übertragbarkeit (Validierung) unterzogen. Dessen ungeachtet sind sie für die Marktzulassung zahlreicher Produkte der chemischen und pharmazeutischen Industrie auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene noch immer gesetzlich vorgeschrieben.

Im Gegensatz dazu müssen tierversuchsfreie Forschungs- und Testmethoden ein genau festgelegtes, zeit- und kostenintensives Validierungsverfahren in mehreren voneinander unabhängigen Testlaboren durchlaufen und sich darüber hinaus auch noch an den Ergebnissen aus Tierversuchen messen lassen. Bevor neue Methoden behördlich anerkannt und in gesetzliche Vorschriften aufgenommen werden, können so bis zu 10 Jahre oder mehr verstreichen. Um sicherzustellen, dass nicht aufgrund abweichender Zulassungsvoraussetzungen außerhalb Europas weiterhin Tierversuche durchgeführt werden, müssen tierversuchsfreie Methoden international anerkannt und die Testregularien vereinheitlicht werden. Ausschlaggebend sind dabei folgende Einrichtungen :

BfR3: Das 2015 gegründete „Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R)“ am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) koordiniert bundesweit alle Aktivitäten mit den Zielen, Tierversuche auf das unerlässliche Maß zu beschränken und „Versuchstieren“ den bestmöglichen Schutz zu gewährleisten. Darüber hinaus soll es u.a. Forschungsaktivitäten anregen, den wissenschaftliche Dialog fördern und zur Harmonisierung von Alternativmethoden auf internationaler Ebene beitragen . Eine wichtige Rolle spielt hierbei

ZEBET, die "Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden" (ZEBET). Ihre Aufgabe ist es, insbesondere im Bereich gesetzlich vorgeschriebener toxikologischer Testverfahren Alternativmethoden wissenschaftlich zu bewerten und ihre Anerkennung und Umsetzung in Gesetzen und Richtlinien auf nationaler und internationaler Ebene zu fördern.

EURL-EVCAM: Das „Referenzlabor der Europäischen Union für Alternativen zu Tierversuchen“ (European Union Reference Laboratory for Alternatives to Animal Testing (EURL-ECVAM) validiert tierfreie Testmethoden und setzt sich für deren wissenschaftliche und behördliche Anerkennung auf EU-Ebene ein. Die neuen Methoden werden in der Datenbank DB-ALM dokumentiert. Darüber hinaus setzt sich EURL ECVAM zusammen mit Validierungszentren aus den USA, Kanada und für eine internationale Zusammenarbeit bei der Validierung alternativer Testmethoden ein.

OECD: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung legt die international gültigen Prüfrichtlinien für Chemikaliensicherheit fest, die weitgehend auf Tierversuchen beruhen. Die Anerkennung von tierversuchsfreien Verfahren und deren Aufnahme in die Prüfrichtlinien durch die OECD ist daher von größter Wichtigkeit, um auf internationaler Ebene möglichst vielen Tieren qualvolle Giftigkeitstests zu ersparen.

Tierversuche, die für die gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitsprüfung durchgeführt werden, machen allerdings nur ca. 15 Prozent aller Tierversuche in Deutschland aus. Die meisten Tiere werden in der Arzneimittel- und Grundlagenforschung verbraucht, wo nach wie vor fast ausschließlich auf Tierexperimente gesetzt wird und tierfreie Methoden nur selten zur Anwendung kommen.


Links

Forschungszentren

CAAT - EU Center for Alternatives to Animal Testing - Europe
http://caat.jhsph.edu/about/caat-eu.htm

CAAT - Johns Hopkins Center for Alternatives to Animal Testing
http://caat.jhsph.edu/

EPAA - European Partnership on Alternative Approaches to Animal Testing

http://ec.europa.eu/enterprise/epaa/index_en.htm

European Society of Toxicology In Vitro (ESTIV)
http://www.estiv.org/

EUSAAT - European Society for Alternatives to Animal Testing
(vormals MEGAT - Mitteleuropäische Gesellschaft für Alternativmethoden zu Tierversuchen)
http://www.eusaat.org

IIVS - Institute for In vitro Sciences, Inc.
http://awww.iivs.org/scientific-services/

National Centre for the Replacement, Refinement and Reduction of Animals in Research (NC3Rs)
https://www.nc3rs.org.uk/

 

Datenbanken

AnimAlt-ZEBET
https://apps.bfr.bund.de/animalt-zebet/index.cfm

DB-ALM
http://ecvam-dbalm.jrc.ec.europa.eu/beta/

InterNICHE Alternatives Database
http://www.interniche.org/

 

Stiftungen

Adolf Messer Stiftung
http://www.adolf-messer-stiftung.de/

AnimalfreeResearch
http://www.animalfree-research.org

Doerenkamp-Zbinden-Stiftung
http://www.doerenkamp.ch

Stiftung zur Förderung der Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zur Einschränkung von Tierversuchen (SET)
http://www.stiftung-set.de/

 

Informationsplattformen und Fachmagazine

ALTEX - Alternativen zu Tierexperimenten
http://www.altex.ch

InVitro+Jobs – Das Portal für tierversuchsfreie Forschung
http://www.invitrojobs.com

@ltweb - Alternatives to Animal Testing on the Web
http://altweb.jhsph.edu

OECD Guidelines for testing of chemicals
http://www.oecd.org/chemicalsafety/testing/oecdguidelinesforthetestingofchemicals.htm

SATIS für humane Ausbildung
http://www.satis-tierrechte.de/

 

Quellen u.a.
http://www.invitrojobs.com/index.php/de/links

 

 

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